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An 365 Tagen im Jahr 24 Stunden im Einsatz
Veröffentlicht am: 14.12.2022
Feuerwehrchef Andreas Klos
Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Interview mit Feuerwehrchef Andreas Klos und Andre Wiegratz, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes
Dr. Andre Wiegratz, Ärztlicher Leiter des Krefelder Rettungsdienstes, und Feuerwehr-Chef Andreas Klos sprechen über besondere Einsätze, neue Herausforderungen und die Folgen des gesellschaftlichen Wandels für die Arbeit in der Leitstelle.
Herr Klos, Herr Wiegratz, beginnen wir zum Interview mit einer schlichten Zahl: Wie oft wird in Krefeld eigentlich der Feuerwehr-Notruf 112 gewählt?
Andreas Klos: Im Schnitt gehen bei uns auf der Leitstelle 500 bis 800 Notrufe pro Tag ein. Hinzu kommen die Anrufe unter der Nummer 19222: Dabei geht es um den Transport von Kranken, die nicht als Notfall eingestuft werden, aber dennoch ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Man spricht hier vom „qualifizierten Krankentransport", den wir ebenfalls disponieren.
Andre Wiegratz: Die Bezeichnung bedeutet, dass Leute mit medizinischer Qualifikation mit an Bord sind. Meist geht es um Krankenhauseinweisungen durch den Hausarzt unter bestimmten Voraussetzungen. Zum Beispiel, wenn eine medizinische Überwachung erforderlich ist, etwa bei einer dauerhaften Sauerstofftherapie. Oder wenn sich der chronische Zustand der Patientin oder des Patienten zuletzt erkennbar verschlechtert hat, aber noch kein Rettungswagen nötig ist. Zählt man die entsprechenden Anrufe hinzu, kommen wir auf rund 1.000 Anrufe, die täglich unsere Leitstelle erreichen.
Unter der 112 ist der Rettungsdienst, aber ja auch die Feuerwehr zu erreichen. Wie oft wird telefonisch ein Brand oder ein schwerer Unfall gemeldet?
Wiegratz: Stimmt, wir haben in NRW das Prinzip einer integrierten Leitstelle. Herr Klos ist daher nicht nur Chef der Feuerwehr, sondern der gesamten Gefahrenabwehr. Dazu gehören in unserer Stadtunter anderem der Katastrophenschutz und der Rettungsdienst. Dieser macht den allergrößten Teil der Einsätze aus.
Klos: In rund 90 Prozent werden wir wegen gesundheitlicher Notfälle alarmiert. Die restlichen zehn Prozent sind technische Hilfeleistung und Brandbekämpfung. In absoluten Zahlen sprechen wir von durchschnittlich 40.000 Einsätzen insgesamt pro Jahr, davon werden 36.000 vom Rettungsdienst gefahren.
Wie viele Leute sitzen gleichzeitig in der Leitstelle an der Telefonanlage?
Klos: Abgesehen von den notwendigen Pausenzeiten sind grundsätzlich sechs entsprechend qualifizierte Beamte im 24/7-Betrieb in der Leitstelle verfügbar und eingesetzt. Da wir montags bis freitags den Krankentransport mitdisponieren, ist das Aufkommen an diesen Tagen in der Regel höher. Am Wochenende ist meist etwas weniger los. Wir bedienen bekanntlich nicht nur die Kranken, sondern rücken auch bei Verkehrsunfällen, Arbeitsunfällen etc. aus. Zuständig sind wir für das gesamte Stadtgebiet sowie für die Autobahn 57 zwischen Autobahnkreuz Meerbusch bis zum Autobahnkreuz Moers.
Was sind denn die häufigsten medizinischen Gründe für einen Notruf?
Wiegratz: Im Herbst beschäftigen uns vor allem die Atemwegsinfektionen. Wer an einer chronischen Lungenerkrankung leidet, ist besonders stark betroffen. Ebenfalls häufig sind Magen-Darm-Erkrankungen. Grob gesagt, sind die meisten Notfälle entweder internistischer Natur, betreffen also Herz, Lunge und Verdauungstrakt, oder haben einen neurologische Hintergrund - hier wäre unter anderem der Schlaganfall zu nennen.
Klos: Das entscheidet der jeweilige Disponent bei uns in der Leitstelle. Dieser Job ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Die sogenannte Notrufabfrage hat in den vergangenen Jahren einen anderen Stellenwert bekommen. Heißt: Wir müssen die Anrufenden intensiver beraten als früher und ihnen die verschiedenen Wege aufzeigen, die zur Verfügung stehen.
Wiegratz: Hier macht sich der gesellschaftliche Wandel in den vergangenen Jahrzehnten bemerkbar: Früher war die Hilfe im persönlichen Umfeld viel stärker ausgeprägt. Der Familienverbund funktioniert heute in vielen Fällen nicht mehr. Vor allem ältere Menschen leben völlig allein und haben wenige bis gar keine Kontakte. Somit ergibt sich eine Situation der Hilflosigkeit: Vielleicht macht der Hausarzt keine Hausbesuche mehr. Beim Facharzt ist erst ein Termin in mehreren Wochen möglich. Und auch der Kassenärztliche Notdienst kann womöglich erst in ein paar Stunden vorbeischauen. Dann greifen die Personen eben zum Telefon. Und so landen viele Anfragen bei uns, bei denen es sich nicht um Notrufe im eigentlichen Sinne handelt.
Mit welchen Folgen?
Wiegratz: Früher wurde im Schnitt jeder zweite Notruf auch tatsächlich von uns beschickt. Heute müssen wir in vielen Fällen erst einmal prüfen: Was ist die richtige Lösung für den Menschen am anderen Ende der Leitung? Das ist nicht immer der Blaulicht-Einsatz. Manche Nachfrage können wir auch gar nicht bedienen. Zum Beispiel führen wir keineTabletten mit uns und können keine Rezepte ausstellen. Umes ganz klar zu sagen: UnserFokus liegt auf den lebensbedrohlichen Erkrankungen und Verletzungen, die unverzüglicher Hilfe bedürfen. In diesen Fällen sorgen wir für eine schnelle Erstbehandlung und einen sicheren Transportins Krankenhaus. Das ist unsere Kernaufgabe.
Klos: Angesicht dieser gesellschaftlichen Entwicklung bräuchten wir vielleicht im Rettungsdienst mehr Möglichkeit als jetzt. Stand heute haben wir nur drei Optionen: Wir schicken einen Rettungswagen, wir schicken einen Rettungswagen plus Notarzt - oder wir schicken überhaupt nichts. Bedenkenswert wäre zum Beispiel eine noch engere Kooperation mit dem Kassenärztlichen Notdienst. Für den sollte zudem viel mehr Werbung gemacht werden. Seine Nummer, die 116 117, haben viele Menschen unserer Erfahrung nach gar nicht auf dem Schirm. Die 112 kennt dagegen jeder. Deswegen müssen wir nicht selten Anrufe an die 116 117 weitervermitteln, wenn kein schwerwiegendes gesundheitliches Problem vorliegt.
Wiegratz: Uns ist es in diesem Zusammenhang ganz wichtig zu betonen: Lieber einmal zuviel den Notruf wählen als einmal zu wenig! Wir helfen jedem Anrufenden nach besten Kräften weiter.
Kommen wir zum Personal auf der Straße: Wie viele Einsatzkräfte stehen dem Krefelder Rettungsdienst zur Verfügung?
Wiegratz: Die Stadt Krefeld verfügt über elf Rettungswagen, also rollende Behandlungsräume, und drei Notarzt-Einsatzfahrzeuge. Sie sind so im Stadtgebiet verteilt, dass wir spätestens in acht Minuten vor Ort sind. Im Rettungstransportwagen - kurz RTW - sitzen jeweils eine Notfallsanitäterin oder ein Notfallsanitäter und eine Rettungssanitäterin bzw. ein Rettungssanitär. Im Notarztwagen befinden sich neben der Medizinerin oder dem Mediziner eine Rettungssanitäterin bzw. ein Rettungssanitäter. Wir rechnen bei jeder Funktion mit fünf Mitarbeitenden, damit wir an allen Tagen im Jahr an 24 Stunden im Einsatz sein können. Mit planerischen Puffern kommen wir so auf deutlich mehr als 150 Menschen, die abwechselnd im Dienst sind.
Wie viele von ihnen stellt die Feuerwehr?
Klos: Vorab zur Info: Jeder Feuerwehrmann und jede Feuerwehrfrau verfügt grundsätzlich über eine mehrmonatige Rettungssanitäter- Ausbildung. Notfallsanitäter ist dagegen eine Spezialisierung, die drei Jahre erfordert. Die Fahrerin oder der Fahrer der Notarztwagen kommt in Krefeld immer von der Feuerwehr. Bei den RTWs besetzen wir drei Fahrzeuge, das weitere RTW-Personal kommt von den bekannten Hilfsorganisationen, also DRK, Johanniter und Malteser. Wir bedienen uns dabei nur ihres Personals: Sämtliche Fahrzeuge und das gesamte Einsatzgerät wie Notfallrucksäcke oder EKGMonitore kommen von der Stadt Krefeld. Deshalb haben wir in der Stadt auch eine einheitliche Fahrzeug- Flotte. Die sehen alle gleich aus. Und jedes Fahrzeug trägt die Aufschrift „Rettungsdienst Stadt Krefeld". Es gibt also nur einen Rettungsdienst mit einer Verantwortung. Die Stadt Krefeld hat die Trägerschaft, die Koordinierung liegt in den Händen der Feuerwehr. Eingebunden sind die genannten Hilfsorganisationen, die als Leistungserbringer von der Stadt beauftragt werden.
Welche Rolle spielt das Ehrenamt im Rettungsdienst?
Klos: Das Ehrenamt ist nicht wegzudenken, ich erinnere nur an die Sanitätsdienste bei Veranstaltungen. Auch im Katastrophenschutz benötigen wir zusätzliches, rettungsdienstlich qualifiziertes Personal zur Unterstützung. Ein Beispiel ist das Starkregen-Ereignis Ende Juni des vergangenen Jahres. Da haben wir überörtliche Hilfe in Anspruch genommen, die zu einem erheblichen Teil aus ehrenamtlichen Kräften bestand. Im „normalen Rettungsdienst" sind allerdings praktisch nur hauptamtlich Tätige unterwegs.
Andre Wiegratz, ärztlicher Leiter Rettungsdienst
Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Wer stellt eigentlich die Notärztinnen und -ärzte?
Wiegratz: Sie kommen zum Teil von den zwei großen Kliniken, also dem Helios und dem Alexianer- Krankenhaus. Zum Teil besetzen wir auch selbst: Die Stadt Krefeld hat Verträge mit Kolleginnen und Kollegen, die entweder im Krankenhaus oder niedergelassen tätig sind. Vertreten sind vor allem die Disziplinen Innere Medizin, Chirurgie und Anästhesie. Zudem ist eine spezielle Zusatzqualifikation für den Notfall-Einsatz erforderlich. Bei Neugeborenen und Babys unterstützt uns die Kinderklinik des Helios: Werden wir alarmiert, nehmen wir vor Ort eine Kinderkrankenschwester und eine Ärztin bzw. einen Arzt an Bord. Ich selbst bin neben meiner Verwaltungsfunktion auch noch operativ im Einsatz und fahre während meines Dienstes unter anderem zu allen Kinderreanimationen - etwa nach schweren Autounfällen.
Überall herrscht Fachkräftemangel. Wie stark ist der Rettungsdienst betroffen?
Wiegratz: Auch wir werden nicht verschont. Das liegt unter anderem an einem Umbruch bei den Berufsbildern: Früher war die höchste nicht-medizinische Ausbildung der Rettungsassistent. Seit 2014 gibt es den Notfallsanitäter. Dahinter steht ein völlig neues Konzept: Früher war es eine schulische Ausbildung, zu der ich mich frei anmelden konnte - aber die ich auch selbst bezahlen musste. Heute benötige ich eine Ausbildungsstätte, die mich aufnimmt, ausbildet - und auch entsprechend vergütet. Zusätzlich ist eine Kooperation mit Schulen erforderlich, welche die Theorie abdecken. Nach dieser Neuaufstellung hat es Jahre gedauert, bis sich das System halbwegs eingependelt hat. Dadurch sind eine Ausbildungslücke und in der Folge auch eine Personallücke entstanden.
Und heute kann sich theoretisch jede und jeder bei der Stadt Krefeld um eine solche Ausbildung bewerben
Wiegratz: So ist es. Und wir freuen uns über jede Kandidatin und jeden Kandidaten. Es ist ein ganz toller Beruf und eine wunderbare Aufgabe. Auch wenn das Anspruchsdenken in der Gesellschaft insgesamt zugenommen haben mag - der Großteil der Menschen ist dankbar für die Hilfe, die sie durch den Rettungsdienst bekommen.
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