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„Das ist die Lehre: Wir müssen die Demokratie schützen“
Veröffentlicht am: 28.01.2025
Gedenkveranstaltung im Gymnasium Horkesgath am 27. Januar 2025 anlässlich der Befreiung des KZ Auschwitz vor 80 Jahren.
Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof
Es geschah in dieser Stadt, es geschah in Krefeld: 750 Jüdinnen und Juden aus Krefeld sind in der NS-Zeit im Holocaust durch die Nationalsozialisten getötet worden. In einer tief bewegenden Feierstunde im Gymnasium Horkesgath haben Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung, Religionsgemeinschaften und Stadtgesellschaft gemeinsam der Opfer der NS-Zeit gedacht. Alljährlich wird am 27. Januar anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Jahr 1945 der Opfer des Holocaust gedacht. In Krefeld findet zu diesem Datum eine von Schülerinnen und Schülern gestaltete Gedenkveranstaltung statt. In diesem Jahr war das Gymnasium Horkesgath der Ausrichter. Wochenlang hatten sich die Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Beiträgen auf die Veranstaltung vorbereitet - unterstützt durch die Dokumentationsstelle Villa Merländer - und erhielten viel Applaus und Zuspruch der Gäste. Leitmotiv der Veranstaltung war das Zitat „Es geschah in dieser Stadt", angelehnt an den Roman „Es geschah im Nachbarhaus" des Niederrhein-Autors Willi Fährmann.
Oberbürgermeister Frank Meyer eröffnete seine Rede mit den Worten: „Es geschah in dieser Stadt. Die Opfer kamen von hier. Jüdinnen und Juden, die bis dahin ganz normal in Krefeld gelebt hatten, Nachbarn oder Freunde waren, die hier arbeiteten, die in Vereinen engagiert waren, die Schulen hier besuchten. Krefelderinnen und Krefelder, wie wir alle." Angesichts von sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden und hunderttausenden weiteren Opfern - Sinti und Roma, Homosexuelle, kranke und behinderte Menschen, Zwangsarbeiter, politische Gegner - sagte der Oberbürgermeister: „Diese Zahlen sind unfassbar. Jede Zahl ein Menschenleben - jeder Mensch mit Träumen und Plänen. Sie waren Bruder oder Schwester, Vater oder Mutter, Freund oder Freundin. Millionen Menschen, deren Leben in einem Massengrab oder Verbrennungsofen endete."
Auch 80 Jahre nach Auschwitz stehe er immer wieder vor der Frage, wie es dazu kommen konnte, sagte Frank Meyer: „Auch, wenn wir den Holocaust nicht erklären können - wir können lernen aus dieser Zeit. Denn ganz am Anfang der Eskalation stand die Absicht, bestimmten Bevölkerungsgruppen einen geringeren Wert beizumessen. Abwertung von Existenzen, Antisemitismus -welch eine dumme Haltung. Menschen sind vielschichtig, jeder Mensch ist unterschiedlich, es gibt keine einheitliche Charaktereigenschaft, die alle Menschen einer bestimmten Religion oder Herkunft haben. Das erlebt wir doch alle an jedem Tag, auch hier an der Schule."
OB warnt davor, nicht geschichtsvergessen zu werden
Der Oberbürgermeister warnte angesichts einer steigenden Zahl an rassistischen und antisemitischen Vorfällen, angesichts der Forderungen nach „Remigration" und dem Verteilen von selbstgedruckten Abschiebetickets an Menschen mit Migrationshintergrund, nicht geschichtsvergessen zu werden. „Wir können alle gemeinsam daran arbeiten, dass Hass, Hetze und Antisemitismus in diesem Land niemals wieder Normalität wird. Deshalb bin ich froh darüber, dass sich in unserer Stadt so viele Menschen, junge und alte, für Toleranz, Vielfalt und Demokratie engagieren." Er dankte der Schulfamilie am Gymnasium Horkesgath: „Die Schule sendet mit dieser Veranstaltung ein starkes Zeichen in die Stadtgesellschaft hinein, aber auch nach innen. Die Schulgemeinschaft steht für Toleranz und Zusammenhalt. Darauf dürft ihr alle stolz sein. Ich wünsche mir, dass wir in Krefeld weiter friedlich zusammenleben, gleich welcher Hautfarbe und Herkunft, im Miteinander der Religionen. Dass wir frei sind und keine Angst haben müssen, mal eine andere Meinung zu haben. Denn das ist die Lehre aus der NS-Zeit. Wir müssen unsere Demokratie schützen."
Schülerbeiträge bildeten Rahmen für die Reden
Verschiedene Schülerbeiträge bildeten den Rahmen für die Reden. Eine Theatergruppe des Gymnasiums Horkesgath führte einzelne Szenen von Willi Fährmanns Roman „Es geschah im Nachbarhaus" auf, der Schulchor sang gemeinsam mit Frauen der Jüdischen Gemeinde das jüdische Lied „Zog nit keynmol". Wochenlang hatten sich die Schülerinnen und Schüler mit dem Thema Nationalsozialismus intensiv beschäftigt: Die Erasmus-AG Horkesgath hat Krakau und die Gedenkstätte Auschwitz besucht und berichtete mit einem Filmbeitrag von der Fahrt, andere Schüler besuchten Lesungen, eine Filmvorführung sowie ein Puppentheater. Eine weitere Gruppe reinigte in Krefeld Stolpersteine. Schulleiterin Carola Keßler brachte in ihrem Grußwort zum Ausdruck, wie die Vorbereitung die Schulgemeinschaft gefordert, aber auch zusammengebracht hat. Das Gymnasium ist „Schule ohne Rassismus" und engagiert sich für Toleranz und Vielfalt.
Samuel Naydych, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, appellierte in seiner Rede an die Schülerinnen und Schüler, kritisch zu bleiben: „Die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, kann uns niemand abnehmen. Das müssen wir selbst tun. Denkt selbst. Fragt nach. Glaubt nicht alles, was ihr hört oder lest - weder in den Nachrichten noch auf Instagram oder TikTok. Hinterfragt, was euch erzählt wird, und sucht nach der Wahrheit, nicht nach gut klingenden Verschwörungstheorien." In Erinnerung an den Gedenktag folgerte Naydych: „Der Holocaust lehrt uns, wie gefährlich es ist, blind zu folgen. Wer nicht hinterfragt, verliert den Kompass, der zwischen richtig und falsch unterscheidet." Er zitierte dazu auch das jüdische Mädchen Anne Frank, die gesagt hatte: „Wie wunderbar ist es, dass niemand auch nur einen Moment warten muss, bevor er die Welt verbessern kann."
Bewegende Rede von Sandra Franz, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle
Sandra Franz, Leiterin der NS-Dokumentationsstelle Villa Merländer, knüpfte in ihrer Rede dort an. Sie betonte, wie engagiert und vertrauensvoll die Zusammenarbeit mit der Schulgemeinschaft Horkesgath gewesen sei und stellte in ihrer Rede auch wichtige Fragen: „Haben wir nicht gelernt, dass wir die Welt nicht verbessern können, wenn alles, was wir als Werkzeug dafür benutzen, ein Hammer ist?" Die Welt sei unbedingt verbesserungswürdig, sagte Sandra Franz: „Es gibt Androhungen von Gewalt und Regierungen, die souveräne Grenzen missachten, es gibt Rechte, die weggenommen werden und alte Feindbilder, die wieder laut auftauchen. Dabei sollten diese doch längst überholt sein. Und ich weiß, viele unter uns sind unglaublich müde und können das kaum noch ertragen, das geht mir manchmal auch so. Aber wir müssen laut und entschlossen sein, weil wir diese Welt verteidigen für die nachfolgenden Generationen, für diese großartigen Jugendlichen, die hier heute gezeigt haben, wie reflektiert und engagiert sie sind." Sie bezog sich in ihrer Rede immer wieder auf Krefelder Opfer der NS-Verfolgung und warf die Frage auf, wie diese sich wohl zu heutigen Entwicklungen äußern würden.
Musikalisch begleitet wurde der Gedenkakt von Friedemann Pardall (Violincello) und Lehrer Rolf-Henning Scheifes am Klavier. Sie spielten die Stücke „Prayer" von Ernest Bloch sowie „Va Pensiero" aus „Nabucco" von Verdi. Die zahlreichen Gäste in der Schulaula bedachten die Beiträge mit warmem und langanhaltendem Applaus.