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Eduard Vogel – der gebürtige Krefelder und Afrikaforscher
Veröffentlicht am: 20.12.2024
Kristine Günther, Öffentlichkeitsarbeit Mediothek Krefeld, mit einer Ausgabe der Erinnerungen an Eduard Vogel aus dem historischen Bestand der Mediothek. Fotos: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, Andreas Bischof
„In welcher Aufregung ich bin, lässt sich nicht beschreiben." Der 23-jährige Eduard Vogel steht vor dem größten Abenteuer seines noch jungen Lebens. „Am 7ten Februar nämlich verlasse ich England, um im Auftrag der englischen Regierung eine große Entdeckungsreise in das Innere von Afrika anzutreten, die mich etwa drei Jahre von Europa fernhalten dürfte", schreibt der gebürtige Krefelder im Januar 1853 aus London an seinen Vater nach Leipzig. Während die Küsten Afrikas zu dieser Zeit seit gut 250 Jahren bekannt und kartographiert sind, bildet das Innere des Kontinents ein weitgehend unbekanntes Land - für Europäer. Ihre Erkundungsreisen führen sie über unbekannte, oft gefährliche Pfade. Eduard Vogels Forschungsreise sollte tragisch enden.
Geburtshaus an der Königstraße
Im Haus an der Königstraße 122, Ecke Angerhausenstraße in Krefeld wird der Entdecker in eine gut bürgerliche Familie geboren. Eduard Vogel erblickt am 7. März 1829 das Licht der Welt. Bei seiner Geburt ereignet sich ein seltsamer Vorfall, der sich in die Erinnerung der Familie einbrennt. Mit hell aufgeschlagenen Augen schaut der gerade geborene Säugling in den Schein einer Kerze im Zimmer. „Als man das Licht wegnahm, wendete sich langsam das Köpfchen und der Blick folgte dem hellen Schein. Das war eine Art Wunder für die Frauen [...], die eben dort versammelt waren, und es gab manch Geflüster und bedenkliches Kopfschütteln unter ihnen, und manch verstohlenes Achselzucken. Die junge Mutter vergaß diesen Vorfall nie und bewachte in den ersten Jahren mit doppelter Sorge das seltsame Kind, das sich schon früh nach dem Lichte sehnte", hält Vogels Schwester, Elise Polko (1823-1899), in ihren „Erinnerungen an einen Verschollenen" fest. Denn das Licht, das Licht der Sterne sollte den Weg des jungen Eduard Vogel bestimmen.
Als Astronom in London
Die Faszination für den Kosmos keimt in dem jungen Eduard als Schüler nachhaltig auf. Da wohnt die Familie schon in Leipzig. Sein Vater wechselt als Rektor der Höheren Stadtschule in Krefeld, heute das Gymnasium am Moltkeplatz, in die sächsische Metropole. Mit einem Lehrer steigt der kleine Eduard dort öfter des Nachts auf einen Turm. Durch einen „Refractor", ein Spiegel-Teleskop, betrachten sie den Himmel. „Man wird wirklich ein besserer Mensch, wenn man sich viel mit den Sternen beschäftigt", sagt der Schüler mal. Und so führt ihn sein Weg als Student der Mathematik und Naturwissenschaften zunächst an die Universität Leipzig, dann zum weiteren Studium nach Berlin. Dort widmet er sich immer mehr der Astronomie, und der weltbekannte Forscher und Wissenschaftler, Alexander von Humboldt, fördert den jungen Studenten in seinem Streben. Dann ereilt ihn eine unerwartete Nachricht. Der Planetenentdecker John Russell Hind in London offeriert ihm die Stelle eines Assistenten an der Bishop'schen Sternwarte in Regent's Park. Seine astronomischen Kenntnisse sollten ihn später für die Forschungsreise nach Afrika qualifizieren. Schließlich konnte er mit Hilfe der Sterne auf der Erde exakte Positionsangaben für Karten erstellen. Diese Forschung hatte damals schon keinen reinen Selbstzweck, sondern sollte irgendwann den wirtschaftlichen Interessen der englischen Krone zugutekommen.
Mit Kamel-Karawane ins Innere von Afrika
Über Paris, Neapel und Malta reist Eduard Vogel von dort ins nordafrikanische Libyen. „Ich werde heute von Tripoli nach dem Inneren abreisen", schreibt er am 28. Juni 1853 an seinen Vater in Leipzig. Seine Expedition bricht als Karawane von 34 Kamelen, 15 Arabern, zwei schwarzen Dienern und einem Koch zum Tschadsee auf - rund 2.000 Kilometer durch die Sahara. Ausgerüstet mit den besten Instrumenten zur Ortsbestimmung, mit Geld und Tauschartikeln versehen, dringt der Astronom in das Landesinnere vor. Er nimmt den Namen „Abdel Wochad", der Diener des einen Gottes an. Als christlicher Europäer kann er nicht offen reisen. Er beherrscht nicht die arabische Sprache und muss immer einen Dolmetscher bemühen. Davon lässt sich Eduard Vogel in seinem Streben aber nicht abhalten. Am 13. Januar 1854 kommt er in Kuka an.
Der nahe gelegene Tschadsee ist ein rund 24.000 Quadratkilometer großer Süßwassersee zwischen der Sahara und dem Sudan. „Der See Tsad ist nicht etwa ein schönes, klares Wasser, sondern ein meilenweiter Sumpf, in dessen Nähe Musquitos in unbeschreiblichen Massen Menschen und Pferde beinahe zu Tode peinigen", hält Vogel fest. Er findet dort durch seine Höhenmessungen heraus, dass der Tschadsee früher viel größer gewesen sein müsse. Nur eine von seinen zahlreichen Erkenntnissen und Entdeckungen, wie neue Pflanzenarten. Er beobachtet auch Elefanten, Flusspferde und Löwen. Das nicht weit vom See entfernten Kuka sollte der Ausgangspunkt für weitere Erkundungen werden. In Kuka leitet eine Schar von 3.000 Reitern den Reisenden feierlich vor den Sultanspalast. In der Stadt sollte er andere Wissenschaftler treffen. Doch diese sind verstorben oder verschollen, so dass er die Expedition leiten wird.
In Kuka erkrankt Vogel jedoch bald am Gelbfieber, das er nur knapp überlebt. Wieder genesen, unternimmt er eigene Expeditionen oder schließt sich Kriegszügen des lokalen Sultans an - das eine so gefahrvoll wie das andere. Die wenigen Europäer, die sich zu dieser Zeit ins Innere Afrikas wagen, treffen auf Menschen anderer Religionen, Wertvorstellungen und anderer Gewohnheiten, was reichlich Gelegenheit für Missverständnisse schafft. Lokale Bräuche und heilige Orte soll Vogel während der Zeit in Afrika öfters missachtet haben - unwissend oder bewusst. Im Schlepptau eines freundlich gesinnten Herrschers gerät der junge Mann auch unversehens in blutige Konflikte: „Auf einer Recognoscirung, die wir nach der auf einem hohen Felsen gelegenen Stadt der Feinde machten, fielen wir in einen Hinterhalt und wurden von einem Hagel vergifteter Pfeile begrüßt."
Die Collage zeigt ein zeitgenössisches Portrait von Eduard Vogel, seine Reiseroute und das Gebäude Königstraße 122 mit der Gedenktafel. Bilder: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, Stadtarchiv Krefeld
Expeditionen und Kannibalen
Vogel wendet sich dem Zentralsudan zu, nachdem er seinen abenteuerlichen Plan aufgegeben hat, sich bis nach Sansibar durchzuschlagen. Im Dezember 1855 schreibt Eduard Vogel den letzten Brief aus Kuka an seinen Vater. Nach über zehn Monaten kehrt er aus dem südlichen Sudan in die Stadt zurück. Dabei fasst er mehrere Ereignisse und Eindrücke zusammen. So gelangt er in eine Stadt namens Bantschi, die einen Anblick bot, „der den Reisenden wirklich daran erinnert, dass er sich im Innern des räthselhaftesten und wunderbarsten aller Erdtheile befindet." Dann berichtet er von Kannibalenstämmen wie den Tangale. Diese seien der Schrecken der umliegenden Gegend, wirklich wilde Burschen, „die Menschenfleisch allem anderen vorziehen". Er schildert noch weitere abenteuerliche Begegnungen mit Einheimischen, über geologische Besonderheiten und Tierbeobachtungen und beendet seinen letzten Brief: „In etwa zwanzig Tagen werde ich eine Recognoscirung nach Wadai, wo möglich bis Wara, machen." Ab hier verliert sich seine Spur.
Ungewissheit über Vogels Ende
Die Geschichte von Eduard Vogel kann nicht wirklich zu Ende erzählt werden. Die Umstände seines Todes erscheinen schemenhaft. „Die verschiedenen, widersprüchlichen Gerüchte des schrecklichen Todes Eduards drangen erst ein Jahr nach seinem letzten Brief zu uns", erinnert sich seine Schwester. So habe es sehr unterschiedliche Erzählungen gegeben, die jedoch alle mit dem Tod ihres Bruders endeten. Einen eindeutigen Beweis für seinen Tod gibt es aber nicht, schließlich hätte er ebenso gut in Gefangenschaft geraten sein können. Um Gewissheit zu erlangen, wurde 1860 noch das zentrale Gothaer-Afrika-Komitee zur Aussendung einer Suchexpedition nach Vogel gegründet - auch um seine wissenschaftlichen Ergebnisse zu sichern. Werner Munzinger (1832-1875), ein Schweizer Afrikaforscher, gehört 1861 einige Monate jener deutschen Expedition an, die nach dem verschollenen Vogel sucht.
Er habe einen mehr oder weniger zuverlässigen „Zeugen" ausfindig gemacht, meint Munzinger in einem Schreiben vom 23. Juni 1862. Vogel brach demnach von Kuka gen Osten auf, hielt sich im Sommer 1855 in der Region Begirmi auf. Dort gesellte sich „Schingetinger Mohammed" zu ihm, jener Zeuge Munzingers. Im Frühjahr 1856 befanden sich beide in der Massena, der Hauptstadt Bagirmis, wo sich ihre Wege aber wieder trennen sollten. Dort soll sich Vogel einen Monat aufgehalten haben, um weiter nach Borgu zu reiten. Als sich Mohammed - in einem gänzlich anderen Zusammenhang - in Borgu befand, berichteten Einheimischen vom Tod Vogels. Der habe sich in Borgu bei einem lokalen Herrscher einquartiert. Ein Verwandter des lokalen Herrschers, eines Sultans, wollte unbedingt Vogels Pferd haben, der es weder verschenken noch verkaufen wollte. Pferde galten in der Region als Statussymbol. „Daraufhin wurde sein Mord beschlossen", schreibt Munzinger. Jener Verwandte suggerierte dem Sultan, Vogel schreibe ohne Tinte und zudem seine astronomischen Instrumente, also Zauberei, und dieser sei ohnehin ein Christ und damit vogelfrei. Nur wenige Tage nach Vogels Ankunft Anfang Mai 1856 sei er nachts eben von jenem Verwandten des lokalen Herrschers samt Gefolgsleuten überfallen und ermordet worden.
Dokumente sind verlorengegangen
Ob diese Schilderung letztlich den Tatsachen entsprecht, bleibt offen. Die mannigfaltigen und teils brutalen späteren Beschreibungen seines Todes mögen eher der Phantasie mancher Autoren entsprungen sein. Die Wahrheit ist bis heute nicht bekannt. Der Großteil seiner wissenschaftlichen Dokumentation, die vorher nicht nach Europa verschickten worden waren, geht in diesen Tagen verloren. „Nicht-arabische Papiere werden in diesen Ländern so vernachlässigt, dass sie in kurzer Zeit den Würmern zum Raub werden; erregen sie abergläubisches Misstrauen, so werden sie schnell vernichtet", resümiert Munzinger und endet mit: „Es ist nach den gegebenen Auskünften leider wohl nicht dem geringsten Zweifel unterworfen, dass Dr. Vogel nicht mehr als Leben ist. Es tut mir leid, seine Familie und Freunde der letzten Hoffnung berauben zu müssen."
Die Erinnerung an diesen „Sohn der Stadt" sollte in Krefeld noch lange anhalten. Eine hiesige Tageszeitung berichtete im März 1957, dass die im Zweiten Weltkrieg zerstört Gedenktafel (von 1886) an Vogels Geburtshaus an der Königstraße 122 durch eine neue Tafel ersetzt wurde - ein Beschluss des Kulturausschusses. „Damit ist der Wunsch zahlreicher Bürger unserer Stadt, das Andenken dieses Mannes zu ehren, erfüllt worden", heißt es in dem Bericht. Diese Gedenktafel befindet sich inzwischen im Bestand des Museums Burg Linn. Eine heute wohl eher seltene, nicht-ausleihbare Ausgabe von „Erinnerungen an einen Verschollenen" aus dem 19. Jahrhundert von Vogels Schwester Elise Polko befindet sich in der historischen Bibliothek in der Mediothek. Sie kann vor Ort eingesehen werden.