Inhaltsbereich

Feuer! Feuer! Blut! Blut! – Der „Tolle Christian“ erobert Uerdingen

Veröffentlicht am: 21.02.2024

Kurator Ralf-Günter Stefan, ehrenamtlicher Mitarbeiter im Museum Burg Linn. Er betreut den Bestand der historischen Bibliothek. Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Kurator Ralf-Günter Stefan, ehrenamtlicher Mitarbeiter im Museum Burg Linn. Er betreut den Bestand der historischen Bibliothek. Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation

Sein Kommen kündigte er mit Drohbriefen an, die vier Ecken angesengt und mit dem Text „Feuer! Feuer! Blut! Blut!" - Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel (1599-1626). Er wurde der „Tolle Christian", der „Wilde Herzog" oder „Toller Halberstädter" genannt. Da steckte ein bisschen Bewunderung angesichts seines kühnen Handels drin, vor allem jedoch sein brutales Vorgehen. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) wütete er als Kriegsunternehmer mit einer Söldnerarmee in deutschen Ländern. Das Brandschatzen, Plünderungen und Morden machte um das Krefelder Gebiet in den ersten Jahren des Dreißigjährigen Kriegs meist einen weiten Bogen. Die „Schonfrist" endete für Uerdingen aber am 3. Juli 1625. Da stand der „Tolle Christian" vor den Stadttoren.

Ausstellung im Museum Burg Linn

Das Konterfei des „Tollen Christian" können sich Besucher derzeit im Museum Burg Linn in Krefeld als Teil einer Präsentation über den Dreißigjährigen Krieg anschauen. Es war nicht der einzige, wohl aber bis heute bekannteste Konflikt in der Frühen Neuzeit (1500-1789) zwischen katholischen und protestantischen Machthabern um die Vorherrschaft in Europa. Helme, Kanonenkugeln, Hellebarden, ein Reiterharnisch sowie zahlreiche Bücher, Dokumente und Darstellungen vermitteln im Museum Burg Linn einen Eindruck der Zeit und lokale Bezüge. „Man glaubte noch an Hexen, und man bekriegte sich auf brutalste Weise", erklärt Ralf-Günter Stefan. Diese Übergangzeit vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit und die Renaissance fasziniere ihn schon lange als historisches Thema. Der ehrenamtliche Mitarbeiter betreut und bearbeitet seit vielen Jahren die Historische Bibliothek des Museums. Als Sammler von historischen Büchern, Briefen und Dokumenten unterstützt er die Präsentation mit zahlreichen Leihgaben. „Wir haben von den wichtigsten Akteuren des Dreißigjährigen Krieges je ein zeitgenössisches Dokument, das ihnen direkt zuzuordnen ist", sagt Stefan. Durch diese Originale können die Besucher so die wesentlichen Beteiligten auf eine teils sehr persönlichen Ebene kennenlernen.

Der Tolle Christian führt sein eigenes Söldnerheer

Das Porträt des „Tollen Christian" in der Ausstellung wirkt gar nicht verwegen, der junge Mann mit Augenringen schaut eher müde drein. Die Darstellung täuscht. Er war ein Haudegen, der nach eigenem Bekunden „Lust zum Kriege" verspürte. Mit 22 Jahren befehligte der protestantische Söldnerführer bereits sein eigenes Heer mit über 10.000 Mann. Erfolge auf dem Schlachtfeld konnte er jedoch kaum für sich verbuchen. Nach einer Schlacht 1622 war er durch eine Schussverletzung so schwer verwundet, dass sein linker Unterarm amputiert werden musste. Unter Fanfarenklängen ließ er sein Heer der Operation beiwohnen. Trotz dieser Einschränkung kämpfte er weiter mit seinen Söldnern. Sein brutales Vorgehen verbreitete sich unter der Bevölkerung. Er nahm Geiseln, ließ seine Soldaten die Ortschaften ausrauben, und wenn die Bürger nicht zahlen wollten, ließ er die Häuser anzünden. Der Krieg musste den Krieg ernähren. „Christian von Braunschweig-Wolfenbüttel plünderte 1622 in Paderborn und raubte den Liborius-Schrein, von dessen Silber er sogenannte Pfaffenfein-Taler prägen ließ", berichtet Stefan über die tolldreiste Tat.

Rheinstadt Uerdingen wird überfallen

Angst und Schrecken erfüllte die Bewohner in den Städten, wenn er vor den Toren stand. Von Christians Aufmarsch ahnten die Uerdinger in jener Nacht des 3. Juli 1625 nichts. Auch ein Wachposten argwöhnte keine Gefahr. Für die Rheinstädter hatte sich der „Tolle Christian" eine Überraschung ausgedacht. Um drei Uhr nachts rückte der Herzog mit etwa 2.000 Mann gegen Uerdingen vor. Aufkommender Lärm veranlasste den Bürgermeister, bewaffnete Posten aufzustellen. Aber keiner befürchtete einen Überfall. Ein „Gallus" (ein Franzose) namens Kapitän Schmitt sprach auf Deutsch dann alleine an einem Tor den Wachposten an. Er habe Nachrichten aus Moers zu überbringen. Während des Gesprächs brachte jener Schmitt eine Bombe am Tor an. Die explodierte mit solch einer Wucht, dass die Torflügel in die Luft flogen. Sodann erschallten dutzende Kriegstrompeten, Bomben explodierten und eine Schar Soldaten stürmte durch das offene Stadtportal. Ein gewaltiges Getöse versetzte die Bürger in Schrecken. Manche flüchteten oder versteckten sich, einige griffen zu den Waffen. Es nutzte alles nichts. Uerdingen geriet so fast ohne Widerstand in die Hand des „Tollen Christian". Eine Stunde nach der Erstürmung betrat er die Stadt und gab sie sowie das Umland zur Plünderung frei. Sieben Stunden wütete und zechte seine Truppe. Die Soldaten raubten dabei 50.000 Goldgulden.

Pastor Johann Wüstrath von Bedburg

In diesem Tumult begab sich der Uerdinger Pastor Johann Wüstrath von Bedburg zur Kirche. In St. Peter traf er auf sieben Soldaten. Sofort hielten sie den Pastor fest. Sie wollten die Sakristei aufbrechen. Es gelang ihnen jedoch nicht. Wüstrath ließ sich zu Christian führen. Der stand auf der Oberstraße. Der Pastor warf sich vor die Knie des Herzogs. Als „Gottes Freund, der Pfaffen Feind" plünderte Christian drei Jahre zuvor die Bistümer Paderborn und Münster. Nun lag ein Mann Gottes vor ihm. „Nachdem ihre fürstliche Gnaden nun dieses Städtchen in ihre Gewalt bekommen, dass doch einige Gnad den Bürgern und Behörden der Kirch möge widerfahren", bettelte Wüstrath. Man solle ihm den Kirchenschatz lassen. Dem Pastor widerfuhr „Gnad" und er durfte den Schatz behalten. Dieser wurde auf 1.500 Taler geschätzt. Ein skurriles Schauspiel folgte.

Der katholische Geistliche und der protestantische Kriegsherr

Der Herzog bestellte Wüstrath zum gemeinsamen Essen. Zwischendurch wurde der Geistliche abgeführt. Soldaten drohten ihm, er solle die geschätzte Summe zahlen, was dieser nicht konnte, das Ganze wiederholte sich noch einmal, bis eine Wache das Anrücken des Feinds meldete. „Dann fingen alle an, sich zum Aufbruch zu rüsten", berichtet Wüstrath. Der Herzog nahm den Pastor als Geisel mit in sein Lager. „Dort wurde ich einen ganzen Monat festgehalten", so der Geistliche. 20.000 Taler verlangte man für seine Freilassung. Als Soldaten ihn fesselten, griff Christian ein und ließ den erkrankten Wüstrath zu sich bringen. „In jener besagten Zeit hatte ich mit dem Fürsten fast jeden Tag zu tun: Gespräche und andere seltsame Fragen", schreibt der Pastor.

Die Haftbedingungen scheinen jedoch ganz mehr oder weniger zumutbar gewesen zu sein. „Am zweiten Tische der Vornehmen hatte ich einen Platz, gute Speisen reichlich, Wein genug und Eßbares in jeder Art in Fülle. Immer war ich unter Bewachung von Soldaten, durfte aber nach Belieben umhergehen", schildert der Geistliche. Als Schlafstätte gab es nur wenig Stroh, das zudem mit Läusen und Ungeziefer durchsetzt war und Wüstraths Kleider bevölkerte. Christian unterhielt sich immer wieder mit ihm - auch bei einem Spaziergang entlang des Rheins. Letztlich forderte der Herzog 266 Reichtaler Lösegeld. Er bekam sie und ließ den Geistlichen frei. - Der Überfall auf Uerdingen war eine der letzten großen Aktionen Christians. Er verstarb plötzlich 1626 an einer fiebrigen Erkrankung.

Die kleine Ausstellung über den Dreißigjährigen Krieg ist im Archäologischen Museum Krefeld des Museums Burg Linn an der Rheinbabenstraße 85 zu sehen. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben in Krefelder Museen kostenfreien Eintritt. Weitere Informationen stehen unter www.museumburglinn.de.