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Fußball oder Klavier? Sport und Kultur sind »Lebensmittel«
Veröffentlicht am: 03.10.2021
Sport und Kultur begegnen sich im Interview: Dennis Gerritzen von der Sportjugend Krefeld
und Dr. Gabriele König, Kulturbeauftragte der Stadt Krefeld.
Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Frau Dr. König, Herr Gerritzen, Corona hat die Freizeit-Möglichkeiten für Kinder und Jugendliche stark eingeschränkt. Haben wir inzwischen, Stand Ende September, bei den Hobbys wieder den Normalzustand erreicht?
Dr. Gabriele König: Laut Corona- Schutzverordnung können Kunstund Kultureinrichtungen wieder öffnen und besucht werden. Wir beobachten jedoch eine gewisse Zurückhaltung, sich in geschlossenen Räumen mit vielen Menschen zu treffen. Ich verstehe diese Vorsicht. Die Menschen bevorzugen Veranstaltungen unter freiem Himmel. Auch Musikschul-Kurse gibt es wieder, aber bislang noch keine musikalische Früherziehung in städtischen Kitas. Hierfür müssen bezüglich Corona noch einige Dinge geklärt werden. Kurzgefasst: Viele analoge Veranstaltungen sind wieder möglich, aber noch nicht in dem Rahmen, wie wir ihn vor Corona hatten.
Dennis Gerritzen: Im Sport ist das Bild ähnlich. Den Normalzustand haben auch wir noch nicht erreicht, sind aber auf einem guten Weg. Wir sehen das an einer steigenden Zahl an Anmeldungen. Viele Eltern sind froh, dass ihre Kinder wieder zum Sport können. Aber eine gewisse Vorsicht ist zu spüren. Darüber hinaus dürfen Eltern ihre Kinder auf Grund der Verordnungen nicht unbedingt mit in die Hallen begleiten und müssen teilweise draußen warten, was auch dazu führt, dass nicht jedes Kind zum Sport gebracht wird.
Kinder und Jugendliche haben heute einen vollen Terminkalender, Stichwort Offener Ganztag. Merken Sie die fehlende Freizeit?
Dr. Gabriele König: Viele Kultureinrichtungen legen ihre Angebote in die Ferien. Da nehmen wir einen hohen Zuspruch wahr, weil Kinder und Jugendliche hier Zeit haben und gleichzeitig berufstätige Eltern sich freuen, wenn es in den Ferien solche Angebote gibt. Für die ganzjährigen Kurse der Musikschule gilt: Wer mit Leidenschaft ein Instrument spielt, wird dafür Platz im Kalender finden. In diesem Zusammenhang dürfen wir nicht vergessen, dass die Offene Ganztagsschule mehr Gleichberechtigung möglich macht. Denn mit ihrer Hilfe können Frauen und Männer ihre eigene Berufstätigkeit mit familiären Erfordernissen vereinbaren.
Dennis Gerritzen: Die OGS galt lange als „Feind des Sports", weil sie die wertvolle Zeit am Nachmittag beanspruche. Das war schon immer eine falsche Sichtweise,und inzwischen gehen die Vereine auch den Weg in die Schulen hinein. Der Ort des Hobbys hat sich damit einfach verschoben. Und Eltern, die großen Wert auf Bewegung legen, schicken ihr Kind auch noch nach der OGS zum Sport.
Ein Problem möchte ich gleichwohl erwähnen: Durch die vergleichsweise frühen Uhrzeiten fehlt es an ehrenamtlichen Trainerinnen und Trainern für die OGS. Am frühen Nachmittag müssen viele Menschen ihrem Brotberuf nachgehen.
Wie bewerten Sie das Angebot in Krefeld im sportlichen und künstlerischen Bereich?
Dennis Gerritzen: Krefeld verfügt über eine Vielzahl von Vereinen und hat darüber hinaus eine Infrastruktur, die Sport außerhalb von Vereinen ermöglicht. Mein Lieblingsbeispiel ist der Voltaplatz: Hier sind so gut wie alle Generationen vertreten und der Platz ist immer voll.
Dr. Gabriele König: Wir haben ein vielfältiges Angebot in der Stadt, das von Kinder und Jugendliche gut angenommen wird. Kultur und Sport verstehe ich als eine Art „Lebensmittel", das Möglichkeiten bietet, sich auszuprobieren, Neues und bislang Fremdes kennenzulernen, aber auch neue Menschen zu treffen.
Sport und Kultur begegnen sich im Interview: Dennis Gerritzen von der Sportjugend Krefeld
und Dr. Gabriele König, Kulturbeauftragte der Stadt Krefeld.
Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Tennis oder Klavier, Querflöte oder Fußball? Sind das problematische Gegensätze für die Freizeitgestaltung?
Dr. Gabriele König: Nein. Ich kenne Menschen, die begeistert zum Tennis gehen und ein Musikinstrument spielen . Natürlich kann es das geben, dass jemand Musik mehr liebt als Sport oder andersherum. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass wir als Gesellschaft den Zugang zu beiden Bereichen in jungen Jahren ermöglichen, damit die Einzelnen herausfinden können, wofür das eigene Herz schlägt.
Dennis Gerritzen: Auch ich sehe keinerlei Gegensatz zwischen Sport und einer künstlerischen Betätigung. Es findet sogar ein Austausch untereinander statt. Was die frühe Chance betrifft, möglichst viel auszuprobieren, möchte ich einen Kritikpunkt äußern: Sport gilt als Nebenfach, das ruhig auch mal ausfallen darf. In Grundschule und Kita ist Sport gern ein fachfremd unterrichteter Bereich und der entsprechende Qualifizierungsgrad bei Lehrerschaft und Betreuern nicht besonders hoch.
Dr. Gabriele König: Das gilt für die Fächer Musik und Kunst auch. Diese Fächer werden häufiger mal gestrichen, wenn es eng wird. Oder sie werden fachfremd unterrichtet. Da bin ich ganz bei Ihnen, Herr Gerritzen: Die Grundschulund Erzieherausbildung muss auch Sport, Musik und Kunst beinhalten, oder die Angebote von außen müssen finanziell stärker unterstützt werden.
Dennis Gerritzen: Die landläufige Meinung ist, dass die Vereine wahnsinnig davon profitieren würden, wenn sie Angebote in Kitas und Schulen machen. Nach dem Motto: „Die Kinder kommen doch danach alle als zahlende Mitglieder zu euch." Da kann ich nur sagen: Dem ist nicht so. Mit sehr viel Glück kommt nach einer 20- köpfigen AG ein Kind in den Verein.
Dr. Gabriele König: Das Engagement der Vereine ist kein Marketinginstrument, sondern die Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Veränderung. Die Halbtagsschule gibt es in der alten Form nicht mehr. Die OGS können langfristig auch zu mehr Chancengerechtigkeit führen, die Vereine tragen das Ihrige dazu bei.
Welche Rolle spielt es, dass mindestens ein Elternteil ein Instrument gelernt hat oder sich in einem Sportverein engagiert hat?
Dennis Gerritzen: Es kann ein Vorteil sein, aber viel wichtiger ist, wie der Sport im Kita- und Schulbereich gelebt wird. Bei Einrichtungen, die sich Bewegung auf die Fahne geschrieben haben, sind die Kinder nachweislich fitter. Das Vorbild nur bei den Eltern zu sehen, ist also zu kurz gegriffen. Es besteht manchmal sogar die Gefahr, dass Eltern aufgrund ihrer eigenen Sportbegeisterung zu ehrgeizig sind: Sie sehen ihr Kind schon als den kommenden Weltmeister. Dabei geht es doch darum, Spaß zu haben.
Dr. Gabriele König: Selbstverständlich ist es nicht hinderlich, wenn Eltern selbst musikaffin sind oder sich anderweitig für Kunst und Kultur interessieren. Die Aufgabe von Kulturverantwortlichen ist es, auch jene Kinder in den Blick zu nehmen , bei denen das nicht der Fall ist.
Was ist, wenn Familien die finanziellen Mittel fehlen?
Dr. Gabriele König: In den Krefelder Museen haben wir seit zwei Jahren freien Eintritt für Kinder und Jugendliche. Und in der Musikschule gibt es Stipendien und andere Fördermöglichkeiten, wie das Bildungs- und Teilhabepaket.
Dennis Gerritzen: Das ist im Sport das Hauptinstrument. Das Paket reicht zwar nicht für alle Angebote, deckt aber schon eine ganze Menge ab. Es wird allerdings viel zu wenig genutzt, weil in der Bevölkerung das Wissen um diese staatliche Unterstützung fehlt.
Alle Beiträge aus der Sonderveröffentlichung zum Thema Familie: