Inhaltsbereich

Geschichte: Hexenverurteilung im Winter 1492 in Krefeld

Veröffentlicht am: 21.11.2022

Eine Darstellung aus dem Museum Burg Linn.  Foto: Stadt Krefeld
Eine Darstellung aus dem Museum Burg Linn.
Foto: Stadt Krefeld

Die Geschichte von Nesgen to Range

An einem Tag im Februar 1492 klopfen Wachleute in Hüls an die Haustür von Nesgen to Range. Man habe sie als „Hexe" bezichtigt, werden sie ihr gesagt haben. Durch die Gassen des kleinen Ortes bringen sie die Frau zunächst in das Gefängnis auf die Hülser Burg, um ihr bald den Prozess zu machen. Das Gericht tagt einige Tage später im Freien vor der Burg. Während der Vernehmung durch Schöffen sagt Nesgen to Range aus, sie habe dreierlei Art Haare und Eier unter die Türschwelle eines Heinrich Ploenkens und eines Derich Schroetten gelegt. Darauf sei ihnen Vieh gestorben - ein Schadenszauber. Zudem bekennt sie, drei Menschen am Inrath mit Rat des Teufels behext zu haben. Ihr „Geständnis" legt sie am Fastnachts-Montag, 5. März, ab - wohl erst nach der „peinlichen Befragung", der Folter. Wie in anderen lokalen Prozessen spielt der nahe Hülser Berg als Hexentanzplatz auch hier eine Rolle. Dort treffen sich Hexen mit dem Teufel. Nesgen to Range erzählt, dass der Teufel und sie „aus ihrem Haus bis auf den Hülser Berg auf der Höhe nach Cracau hingefahren sei und der Teufel sie selbst in Gestalt eines Pferdes, darauf sie gesessen, dahin geführt habe und zwar einmal um Mitternacht von Donnerstag auf Freitag, das andere Mal auf einem Dienstag am hellen Mittage."

100.000 Menschen wurden wegen Hexerei im Römischen Reich ermodert

Vom Ende des Spätmittelalters (1500) bis in die Mitte der Frühen Neuzeit im 18. Jahrhundert wurden geschätzt 100.000 Menschen, in der Hauptsache Frauen, wegen Hexerei im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ermordet. Das wichtigste Handwerkszeug für die Ankläger war dabei ein Buch: „Der Hexenhammer" (Malleus maleficarum) wurde 1486 in Köln herausgegeben. Das Werk richtet sich vor allem gegen Frauen. Der Autor der Schrift ist der Theologe und Dominikaner Heinrich Kramer oder Krämer, der sich Heinrich Institoris nannte. Bei dem „Hexenhammer" handelt es sich um eine systematische Zusammenfassung jener Hexenlehre, deren Bestandteile noch aus dem Spätmittelalter stammen: Zauberei, Buhlschaft mit dem Teufel, der Hexenflug und der Hexensabbat - für die Menschen dieser Zeit existierten diese Dinge als Realität.

Die Hexenprozesse am Niederrhein

Schon bald nach Erscheinen des Hexenhammers mehren sich die Hexenprozesse - auch am Niederrhein. Einer der ältesten Nachweise stammt aus dem Jahr 1491. Der Vogt Winrich zu Bergheim lässt eine Frau als Hexe verhaften, foltern und verbrennen. In kurzer Folge kam es am Niederrhein zu mehreren Prozessen, unter anderem in Heinsberg, Viersen, Kempen und Mönchengladbach. Handelt es sich dabei meist um Einzelfälle, bilden sich um die Jahre 1590, 1630 und 1680 regelrechte „Wellen" in deutschen Staaten und Städten aus: Eine Bezichtigung als „Hexe" begründete sich nicht selten aus weltlichen Ursachen wie einem Nachbarschaftsstreit oder erhofften wirtschaftlichen Vorteilen. Auf diese Weise konnte eine fatale Eigendynamik in Gang gesetzt werden, wenn durch die Folter weitere Beteiligte besagt werden sollten. So kam es in Territorien und Städten dazu, dass zum Teil hunderte Menschen ermordet wurden, wie in Bamberg. Dort sterben in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts etwa 1.000 Frauen, Männer und Kinder als vermeintliche Hexen und Magier - rund zehn Prozent der damaligen Bevölkerung.

Johann Weyer

Von derartigen „Wellen" sind längst nicht alle Territorien und Städte betroffen. Denn immer mehr Zweifler machen ihre Ansichten gegen den Hexenglauben publik. Einer der ersten heißt Johann Weyer (Wier oder auch Wierus geschrieben). Er verfasst Anfang der 1560er-Jahr die Schrift „Über die Blendwerke der Dämonen, der Zaubereien und Giftmischereien". Der Leibarzt des Herzogs von Kleve-Jülich-Berg schreibt es wohl im Schloss Hambach bei Jülich. An zahlreichen Beispielen zeigt er auf, wie unsinnig der Hexenwahn sei und macht selbst die Zuschauer der Hinrichtungen für das Übel mitverantwortlich. Seine in mehreren Auflagen erschiene Schrift wird kontrovers in der Obrigkeit diskutiert. Wo Adlige und Akademiker seinen Ansichten folgen, wie Hermann von Neuenahr, von 1553 bis 1578 der Graf von Moers und der Herrlichkeit Krefeld, gibt es nur selten oder keine Verhandlungen gegen Hexen.

Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld

Der heute noch bekannteste Gegner der Hexenverfolgen ist der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (1592-1635). Zum Höhepunkt der zweiten Welle um 1630 erscheint seine „cautio criminales", anonym 1631 in Rinteln gedruckt. Darin schreibt er, dass die sogenannten Hexen völlig unschuldige Menschen sind, und nur die Folter erpresse ihre Geständnisse. In seinem Buch fordert er deswegen die Abschaffung der Hexenprozesse und der Folter. Über Friedrich Spee von Langenfeld wird übrigens erzählt, weil er Beichtvater der zum Tode verurteilten Hexen gewesen war und weil er deren Schilderungen über die Folter nicht mehr ertragen konnte, seien ihm bereits als junger Mensch seine Haare ergraut. „Die Folter macht die Hexen", war seine feste Überzeugung.

Viele Frauen und Männer wurden gefoltert

Diese Aussage stimmt aber nur zum Teil. Das damalige Strafrecht und die soziale Verflechtung vor allem in kleinen Städten und Dörfern sind wichtige Elemente bei dem Zustandekommen von Hexenprozessen. Die Folter bildet jedoch eine wesentliche Voraussetzung bei der massenhaften Durchführung von derartigen Verfahren, weil eine Verurteilung auf einem Geständnis basiert. Oft reicht es schon, den Beschuldigten die Folterinstrumente zu zeigen, um von ihnen die erforderlichen Aussagen zu erhalten. Falls nicht, legt man ihnen die Instrumente wie Bein- und Daumenschrauben an. Bekennen die Angeklagten immer noch nicht, wird gefoltert. Eine bewährte Methode ist der Aufzug, bei dem einem die Hände im Rücken gebunden und dann hochgezogen werden. „Alles widerrufen ist umsonst", schreibt Friedrich Spee. „Gesteht sie nicht, so wird die Folter zwei, drei, vier Mal wiederholt."

Das passierte in Hüls

Schon auf dem Scheiterhaufen „an dem Brandpfosten angeklammert und genagelt", widerruft Nesgen to Range und so liegt das notwendige Geständnis nicht mehr vor. Daraufhin bitten die Hülser Schöffen die höher gestellten Schöffen in Kempen um eine Entscheidung. Diese bestätigen das Todesurteil. Nesgen to Range wird wegen Hexerei an der Richtstätte am Hülser Berg verbrannt. Ihr Schicksal ist nur wegen des überlieferten Schriftwechsels bekannt. Ein übliches Gerichtsprotokoll existiert wohl nicht mehr. Wer Nesgen to Range war, wer sie bezichtigte, lebte sie alleine, wie alt war sie, bleiben offene Fragen beziehungsweise Spekulation. Sie sollte nicht die letzte Frau sein, die auf heutigem Krefelder Gebiet der Hexerei bezichtigt und vor Gericht gestellt worden ist. In dem kurkölnischen Städtchen Linn kommt es in den Jahren 1601, 1604, 1605 und 1608 zu Prozessen. Dabei wurden die Frauen gefoltert. Für keinen dieser Fälle kann eine Quelle allerdings eine Hinrichtung belegen. In einem Prozess im kurkölnischen Uerdingen 1589 gestehen zwei Frauen sogar trotz sechsfacher Folter und einer Wasserprobe nicht. Als zu Unrecht Beschuldigte wurden sie zwar frei gelassen, aber des Landes verwiesen.

Die Geschichte ist heute nur noch schwer belegbar

Ob es sich bei den überlieferten Fällen tatsächlich um alle „Krefelder Prozesse" handelt, bleibt offen. Prozessakten sind zum Teil aus Scham in späteren Jahren nach dem wahnsinnigen Treiben vernichtet, in Kriegen und durch Brände entsprechende Quellen zerstört worden. Manchmal verweisen nur noch indirekte Hinweise wie kurze Vermerke in amtlichen Protokollen oder Rechnungen auf Hexenprozesse. Der letzte Prozess am Niederrhein soll 1738 in Gerresheim (heute Düsseldorf) stattgefunden haben. Zwei Frauen, darunter eine 16-Jährige, wurden zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt.

 

Weitere Beiträge zum historischen Krefeld:
Seltener Fund aus der Bronzezeit in Krefeld
Insgesamt fünf Urnengräber aus der späten Bronzezeit (1200 bis 800 vor Christus) sollten Schletter und ein Grabungshelfer entdecken. Funde aus dieser Zeit sind für die Krefelder Archäologie selten und immer etwas Besonderes.
AMK Restaurierungswerkstatt im Archäologischen Museum Krefeld: Restauratorin Eileen Wolff mit einer im Block geborgenen Urne. Hier zusammen mit Stadtarchäologe Dr. Hans-Peter Schletter bei der Sichtung des Fundes.
Geschichte: Der Streit um die Klosterkirche in der Krefelder Innenstadt
Nahe der Kirche St. Dionysius in der Krefelder Innenstadt verläuft die Klosterstraße. Von einem Kloster fehlt jedoch jedwede Spur. Nur noch der Straßenname erinnert daran, dass an der Stelle, wo jetzt das Standesamt steht, sich eine um 1430 erstmals urkundlich erwähnte Klosteranlage erstreckte.
Klosteranlage in einem Stadtmodell der Frühen Neuzeit (1500-1789) im Museum Burg Linn. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Franz Stollwerck auf den Spuren der Römer in Gelduba
Ein Mann schreitet mit Zylinder und in Samtrock über den Marktplatz. „Herr Professor“ nennen ihn seine Schüler, aber auch mancher Uerdinger. Der akademische Titel ist Franz Stollwerck (17. Februar 1814 bis 9. März 1884) nie verliehen worden.
Franz Stollwerck. Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
Bekannte und unbekannte Burgen aus dem Mittelalter in Krefeld
Von dem mittelalterlichen Stadtkern Krefelds ist heute bis auf den Großteil des Grundrisses in der Innenstadt und wenigen archäologischen Fundstellen im Boden nichts mehr erhalten.
Haus Rath. Foto: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation
100 Jahre Sprödental-Kirmes: Der Streik der Schausteller
Die Kirmes auf dem Sprödentalplatz feiert in diesem Frühling ihr 100-jähriges Bestehen. Die ersten Buden und Fahrgeschäfte wurden 1924 zunächst auf einem recht kleinen Areal an der Grenzstraße Ecke Uerdinger Straße aufgebaut – damals noch umzäunt.
Der Kirmes-Platz um 1930. Foto: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

 

Weitere Themen aus der Stadtverwaltung: