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„Mir auf der Spur…“ – Das Leben von Michael Kasajanow
Veröffentlicht am: 13.03.2023
Übergabe der biographischen Quellen an das Stadtarchiv. Birgit Kasajanow, Peter Kasajanow, Vera Wegenke und Dr. Christoph Moss.
Bild: Stadt Krefeld, Presse und Kommunikation, A. Bischof
Sein Leben fasste Michael Kasajanow in einer Autobiographie unter dem Titel „Mir auf der Spur..." zusammen
„Er war immer ein vorwärts denkender Mensch", sagt Vera Wegenke. Niemals aufgeben, das habe ihr Vater Michael Kasajanow ihr und ihren beiden Brüdern stets vermittelt. Michael Kasajanow starb mit 94 Jahren im März 2019 in Krefeld. Vier Jahre später sitzen Vera Wegenke, ihr Bruder Peter Kasajanow mit seiner Ehefrau Birgit im Stadtarchiv Krefeld. Auf dem Tisch vor ihnen liegt ein voluminöser Ordner mit einem hölzernen Deckel, den eine Szene mit zwei Vögeln an einem Gewässer ziert. Michael Kasajanow gestaltete ihn. Der Ordner beinhaltet zahlreiche Dokumente, Briefe und Fotos seiner Familie. Sein Leben fasste Michael Kasajanow in einer Autobiographie unter dem Titel „Mir auf der Spur..." zusammen. „Mein Vater hatte ein großes Problem mit seiner Vergangenheit. Er hat unendlich viel geschrieben", sagt Peter Kasajanow. Zudem malte er zahlreiche Bilder.
Er wird 1924 in einem russischen Dorf geboren
Die Lebensgeschichte von Michael Kasajanow macht eigentlich Mut, trotz diverser Schicksalsschläge niemals aufzugeben. Er wird 1924 in einem russischen Dorf geboren. Seine Familie wird in der Zeit des Stalinismus als vermeintliche Großbauern enteignet, bedroht und misshandelt. Es folgt ein Neubeginn in einem Ort an der ukrainischen Grenze, der während des Zweiten Weltkriegs von deutschen Truppen besetzt wird. In Kasajanows Augen kamen die Deutschen nicht als Besatzer, sondern als Befreier von den Repressalien durch die Stalinisten. Er ließ sich dann auf ein „Angebot" deutscher Werber ein, in Deutschland zu arbeiten. Als „Fremdarbeiter" sollte es ihm aber nicht wesentlich besser ergehen als den „Zwangsarbeitern". So kam er nach Krefeld. Er musste im Lager an der Oberschlesienstraße leben und für die Deutschen Edelstahlwerke „schufften". In dieser Zeit erlebte er auch den großen Bombenangriff auf die Stadt.
Die Autobiographie muss in den historischen Kontext eingeordnet werden
Alle seine Erlebnisse und Eindrücke vereinte Kasajanow in seinen umfangreichen Erinnerungen. „Im Kontext der Krefelder Stadtgeschichte kommt der Autobiographie Kasajanows, insbesondere für die Frage der Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte durch Krefelder Unternehmen während des Zweiten Weltkriegs, eine herausgehobene Bedeutung zu", sagt Dr. Christoph Moß, stellvertretender Leiter des Stadtarchivs. Er hat in der neuesten Ausgabe des Krefelder Jahrbuchs „Die Heimat" über einen Teil der Autobiographie geschrieben. Die Bewertung und Bedeutung von solchen sogenannten „Ego-Dokumenten" hat für Historiker in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen. „Das sind aber subjektive Darstellungen. Man muss sie in einen historischen Kontext einordnen und betrachten", so Moß. Dazu zählen Tagebücher, Briefe, Fotoalben und Autobiographien. „Das sind oft gute Ergänzungen zu amtlichen Dokumenten und Quellen", sagt der Archivar. Im Krefelder Bestand befinden sich rund 100 Nachlässe unter anderem von den Familien von Beckerath und de Greiff. Hinzu kommen Einzelbestände von Personen. „Viele müssen noch ausgewertet werden", sagt Moß. In diese Sparte der biographischen Quellen ordnen sich die Lebens- und Familienerinnerungen von Michael Kasajanow ein, die nun im Stadtarchiv in digitaler Form für die Forschung zur Verfügung stehen.
Seine gemalten Erinnerungen reichen von idyllischen Gemälden, Stillleben bis zu schrecklichen Ereignissen wie der Bombardierung Krefelds
Die prägenden Erfahrungen als Jugendlicher in der Sowjetunion und als Fremdarbeiter in Deutschland, die Nachkriegszeit zuerst in der russischen Besatzungszone, die Rückkehr nach Krefeld 1946, die jahrelange Existenz unter falschem Namen, Hochzeit und die Geburt von drei Kindern, der berufliche Aufstieg im Edelstahlwerk, die Einbürgerung in der Bundesrepublik Ende der 1950er-Jahre und letztlich die späte Selbstversicherung Mitte der 1980er-Jahre, in Krefeld mit seiner Familie eine Heimat gefunden zu haben - so wirkt das Leben von Michael Kasajanow in vielen Punkten wie die Biographien von zahlreichen Vertriebenen und Flüchtlingen. Und gleiches gilt für die Verarbeitung dieser traumatischen Zeit, der Unfähigkeit darüber zu sprechen, sondern lieber zu schweigen und zu funktionieren. „Bis zu einem gewissen Punkt konnte er darüber erzählen. Dann kamen die Tränen und ‚Nein, jetzt ist Schluss!'", erinnert sich Schwiegertochter Birgit Kasajanow. Was er nicht sagen konnte, schrieb er für seine Kinder und Enkel oder hielt es in seinen Bildern fest. „Mit 80 Jahren hat er sich einen Computer gewünscht. Bis dahin hat er alles handschriftlich festgehalten", sagt Peter Kasajanow. Seine gemalten Erinnerungen reichen von idyllischen Gemälden, Stillleben bis zu schrecklichen Ereignissen wie der Bombardierung Krefelds. „Er hat ein Stück seiner Seele dort verarbeitet", meint Vera Wegenke. Zu seinen Lebzeiten habe sich sein großer Wunsch leider nicht erfüllt, einmal seine Bilder auszustellten.