Inhaltsbereich

Teil 50: 1923 - die Separatistenunruhen in Krefeld

Veröffentlicht am: 08.11.2023

Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs beschäftigte die sogenannte Rheinlandfrage die politischen Diskussionen. Die damals aufkommende Separatistenbewegung befürwortete eine Abspaltung des Rheinlands vom Deutschen Reich. Sie sorgte auch in Krefeld zu politischen Unruhen und wirkte sich auf das Stadtgeschehen aus. Erstmals öffentlich trat sie hier bei den Hungerunruhen im August 1923 in Erscheinung. Zuvor hatten die Separatisten bereits verbotenerweise Zeitungen verteilt und Plakate angeklebt. Es gab auch Verbindungen zu Gleichgesinnten in anderen Städten und ansatzweise parteipolitische Strukturen. So war der Einfluss der Bewegung auch in Krefeld nicht zu unterschätzen. Um die 350 Krefelder sollen in den zwei Wochen der separatistischen Herrschaft aktiv gewesen sein.

Eine große Versammlung der Separatisten in der Stadthalle

Am 13. August gab es die erste öffentliche Demonstration auf dem Friedrichsplatz, die jedoch wenig Beachtung fand und von der Polizei schnell zerstreut wurde. Bereits einen Monat später sah die Lage etwas anders aus. Die Separatistenbewegung hatte eine Rheinische Republik ausgerufen, repräsentiert durch den „Rheinischen Unabhängigkeitsbund Frei-Rheinland". Am 19. September kam zu einer großen Versammlung in der Stadthalle mit rund 1500 Teilnehmern, darunter viele Arbeiter aus Krefeld, Aachen und Mönchengladbach. Wenige Tage später, bei einer weiteren Versammlung, sprachen die beiden niederrheinischen Separatistenführer Matthes und Dietz.

Die Bereitschaft zur Gewalt steigt

Eine steigende Bereitschaft zur Gewalt musste in diesen Tagen auch der Krefelder Polizeidezernent Johannes Stepkes erfahren. Als er versuchte, ein separatistisches Plakat zu entfernen, wurde er angegriffen. Daraufhin ordnete er an, dass die Polizei jedes gewaltsame Vorgehen konsequent bekämpfen sollte. Doch es gab auch Gegenreaktionen. Ende September versammelten sich in der Stadthalle Separatistengegner. Zu der Kundgebung hatten Arbeiter, Beamte und Angestellte aufgerufen. Der Andrang soll so groß gewesen sein, dass drei Parallelveranstaltungen abgehalten wurden: im großen Saal, in der Wandelhalle und im Garten. Man verabschiedete eine Resolution, in der man sich für die Einheit des Reiches aussprach. Doch die Separatisten gaben nicht auf. Als in der Nacht vom 20. auf den 21. Oktober in Aachen das Rathaus gestürmt und die Rheinische Republik ausgerufen wurde, bereitete man sich auch in Krefeld auf einen möglichen Putsch vor.

Nach dem Kampf der Separatisten um das Rathaus. Repro: Stadtarchiv
Nach dem Kampf der Separatisten um das Rathaus. Repro: Stadtarchiv

Der Sturm auf das Rathaus

Man hatte die Information, dass sich die belgische Besatzung neutral verhalten würde, trotzdem blieb es spannend, wie sich das Kräfteverhältnis insgesamt auswirken würde. Unter der Führung des Krefelder Gastwirts Willy Weiß, der sein Lokal „Heidelberger Fass" an der Dreikönigenstraße Ecke Luisenstraße betrieb, kehrten die Separatisten von Aachen zurück. Am 23. Oktober kam es zu einem Sturm auf das Rathaus, bei dem die Separatisten zunächst die Oberhand behielten. Am 25. Oktober gab der Oberbürgermeister auf. Im Zuge der Unruhen waren sogar seine Frau und seine Tochter für kurze Zeit entführt worden. Der Putsch forderte mehrere Todesopfer, unter ihnen waren der Polizeioberkommissar Schneider und Polizeibetriebsassistent Lenssen. An sie erinnert eine Gedenktafel auf dem Rathausbalkon. Die siegreichen Separatisten entwaffneten die Polizei und plünderten die Geschäfte. Sie zogen ins Rathaus ein, hissten dort eine grün-weiß-rote Fahne und proklamierten die Rheinische Republik.

Die separatistische Herrschaft ist nur von kurzer Dauer

Ein Aktionsausschuss richtete eine Stelle für öffentliche Volksspeisung, ein Wohlfahrtsamt und ein Lohnbüro ein. Man hoffte auf Unterstützung bei den Arbeitslosen und Notleidenden. Eine besondere Herausforderung war es, soweit die Besatzung das tolerierte, die öffentliche Gewalt in der Stadt auszuüben. Dies gelang den Separatisten auf Dauer nicht. Sie konnten auch nicht ausreichend Finanzmittel gewinnen. Zwar wurden Summen beschlagnahmt und immer wieder Geld in Notgelddruckereien gedruckt, doch es war nichts wert.

Künstler entwarfen Notgeldscheine

So war auch in Krefeld die separatistische Herrschaft nach zwei Wochen wieder beendet. Diese politisch unruhigen Zeiten gingen auch mit einer grassierenden Inflation einher. Doch manchem Notgeldschein liegt auch ein künstlerischer Entwurf zugrunde. In dem hier gezeigten Bild ist ein 50-Pfennig-Schein zu sehen, den der Maler und Bühnenbildner Fritz Huhnen gestaltet hat.

Mit der Unterzeichnung einer Urkunde durch Kaiser Karl IV. am 1. Oktober 1373 in Prag wird aus dem Dorf die Stadt Krefeld. 650 Jahre ist das nun her. Anlässlich des Jubiläums blickt das Stadtarchiv in chronologischer Folge mit Geschichten und Anekdoten in die Vergangenheit. Der Blick in die Historie richtet sich nicht alleine auf den kleinen Flecken, den mittelalterlichen Siedlungskern, sondern auf das Gebiet des heutigen Krefelds. Alle Beiträge werden unter www.krefeld.de/1373 und www.krefeld650.de veröffentlicht.

 

Alle Beiträge aus der Artikelreihe des Krefelder Stadtarchivs zum 650-jährigen Stadtjubiläum:
Teil 48: 1919 - Beginn der belgischen Besatzung
Das deutsche Kaiserreich ist beendet, der Krieg verloren. Für die Menschen folgt eine lange Zeit der Besatzung. Das Rheinland war hauptsächlich französisch besetzt. Im linksrheinischen Gebiet nahmen die Belgier den nördlichen Teil mit den Zentren Aachen und Krefeld ein.
Belgische Soldaten. Repro: Stadtarchiv
Teil 47: 1915 - die erste Feuerbestattung findet in Krefeld statt
In der preußischen Zeit wurden die Friedhöfe aus der inneren Stadt verlegt. In Krefeld gab es zunächst den heutigen Stadtgarten, der aber ebenfalls bald zu klein wurde.
Das Krematorium in Krefeld. Repro: Stadtarchiv
Teil 46: Eine Kindheit in Krefeld am Vorabend des Ersten Weltkriegs
Erinnerungen des Architekten Helmut Hentrich.
Die Rheinstraße um 1916 - Ansichtspostkarte. Repro: Stadtarchiv
Teil 45: Die Geschichte des Stadtwalds
Der Stadtwald ist ein beliebtes Naherholungsgebiet. Krefeld ist bekannt für seine vielen Parkanlagen und Alleen. Die größte Grünfläche ist der Stadtwald, der nur zwei Kilometer von der Innenstadt entfernt liegt.
Partie im Stadtwald in Bockum. Repro: Stadtarchiv Krefeld
Teil 44: Im Jahr 1907 werden Bockum, Verberg und Oppum eingemeindet
Nach der Jahrhundertwende wuchs die Stadt auch flächenmäßig. Nachdem 1901 bereits Linn eingemeindet wurde, folgten 1907 mit Bockum, Verberg und Oppum drei weitere Orte.
Partie im Botanischen Garten in Krefeld. Repro: Stadtarchiv Krefeld

Die Krefelder Rheinstraße im Jahr 1916. Bild: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Die Krefelder Rheinstraße im Jahr 1916.
Bild: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

 

Informationen zur Reihe: Das Stadtarchiv blickt anlässlich des Stadtjubiläums in die Krefelder Geschichte

Prag. Freitag, 1. Oktober 1373. Mit der Unterzeichnung einer Urkunde durch Kaiser Karl IV. wird aus dem Dorf die Stadt Krefeld. 650 Jahre ist das nun her. Anlässlich des Jubiläums blickt das Stadtarchiv in chronologischer Reihenfolge mit Geschichten und Anekdoten in die Vergangenheit. „Das machen wir mit wissenswerten Beiträgen, aber auch mit humorvollen Geschichten", sagt Archivleiter Dr. Olaf Richter. Der Blick in die Historie richtet sich zwei Mal pro Woche nicht alleine auf den kleinen Flecken, den mittelalterlichen Siedlungskern, sondern auf das Gebiet des heutigen Krefelds.