Inhaltsbereich

Teil 52: 9./10. November 1938 Die Synagoge wird zerstört

Veröffentlicht am: 22.11.2023

Sie war eines der markantesten Gebäude in der Krefelder Innenstadt und ist mit dem dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte verbunden. Bis November 1938 stand an der Ecke Petersstraße/ Marktstraße die Synagoge, heute erinnert ein Mahnmal daran. Der prächtige Neubau war 1853 eröffnet worden, nachdem das alte Gebäude aus dem 18. Jahrhundert zu klein geworden war.

1853 entstand ein Neubau an der Markstraße

Das neue Gebäude wurde nach den Plänen des Stadtbaumeisters Heinrich Johann Freyse ausgeführt. Der Grundriss bildete ein Quadrat mit zwei angefügten gleichen Rechtecken. Über dem Quadrat erhob sich eine hohe und weithin sichtbare Kuppel. An den viertägigen Feierlichkeiten im Juni 1853 nahm auch die nichtjüdische Bevölkerung regen Anteil. Sie hatte sogar 2500 Taler für den Bau gespendet. Ein festlicher Umzug durch die Stadt führte zur neuen Synagoge. Die „Crefelder Zeitung" berichtet am 19. Juni dazu: „Weißgekleidete Mädchen, Blumensträuße in der Hand tragend, und Knaben mit weißen Fähnchen und Schildern, worauf die zwölf Stämme Israels in hebräischer Sprache bezeichnet waren, eröffneten den Zug. Auf einem seidenen Kissen wurde von einem Mädchen der Schlüssel zur Synagoge getragen. Ihnen folgten die Schützen mit einem Musikkorps, die Thoras, von sechs Mitgliedern des Hülfs-Comités begleitet, der Oberrabbiner mit dem Consistorium, das Fest-Comité; der Baumeister mit dem Maurer-und Zimmermeister, der Sängerchor und die Gemeindemitglieder." In der Synagoge wurden dann unter feierlichen Gesängen die Thora-Rollen in die neue Lade gehoben. Oberrabbiner Bodenheimer beendetet seine Predigt mit den Worten: „Deine Gnade, Deine Barmherzigkeit, Deine Liebe allen Bewohnern Krefelds, ohne Unterschied ihres Glaubensbekenntnisses, denn sie haben Liebe gesät, mögen sie Liebe ernten."

Zwei Umbauten im 20. Jahrhundert

Wie anders war die Stimmung 85 Jahre später, als das Bauwerk, wie unzählige andere seiner Art, innerhalb einer Nacht den Flammen zum Opfer fiel. Noch 1903 war die Synagoge aufwendig umgestaltet worden. Sie erhielt mehrere Ausgänge und Stuckverzierungen in opulentem Stil. In den 1920er Jahren wurden diese Verzierungen wieder etwas zurückgenommen, dafür erhielt der Bau zwölf Fenster nach Entwürfen von Johan Thorn Prikker.

Stadtplan Krefeld. Repro: Stadtarchiv
Stadtplan Krefeld. Repro: Stadtarchiv

Die Situation in Krefeld ab 1933

Mit dem nationalsozialistischen Terror änderte sich die Situation für die Juden schlagartig. Die Auswirkungen der Machtergreifung Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 waren auch in Krefeld schnell spürbar. Bereits am 12. März übernahmen die Nationalsozialisten die Herrschaft im Krefelder Rathaus. Es kam zu antijüdischen Maßnahmen. So wurden, wie es die neue Gesetzgebung verlangte, alle jüdischen Beamten entlassen. Eine Ausnahme sollte nur für ehemalige Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg gelten. In Krefeld betraf das die beiden hoch angesehenen Kinderärzte Rudolf Wolf und Isidor Hirschfelder. Sie wurden beide trotzdem aus städtischen Diensten entlassen. Weniger Wirkung hatte die NSDAP mit ihrem Boykottaufruf des „Aktionsausschuss Krefeld". Demnach sollte ab 1. April „kein deutscher Volksgenosse" mehr in jüdischen Geschäften einkaufen. Doch die Resonanz in der Bevölkerung war so gering, dass der Boykott nach kurzer Zeit wieder abgebrochen wurde. Die Partei war seit der Reichstagswahl 1929 in Krefeld stärker präsent, ihre erste Geschäftsstelle hatte sie ein Jahr zuvor an der Steinstraße eröffnet. Seitdem häuften sich antijüdische Vorfälle. 1935 erreichte die antijüdische Propaganda in Krefeld einen weiteren Höhepunkt. Vor allem Frauen, die weiter in jüdischen Geschäften einkauften, wurden in der Rheinischen Landeszeitung namentlich genannt und mit Fotos an den Pranger gestellt.

Die Ereignisse vom 9./10. November

In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brach der Terror mit unglaublicher Wucht über die jüdische Bevölkerung herein. Auslöser war eine Hetzrede von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, mit der er auf das tödliche Attentat auf den Legationssekretär vom Rath in Paris reagierte. Nach seiner am Abend des 9. November in München gehaltenen Rede, gaben die versammelten Gauleiter und Parteiführer entsprechende Befehle an örtliche Dienststellen weiter. Diese lösten dann das Signal für die Ausschreitungen aus. In Krefeld kamen die entsprechenden Anweisungen in der Kreisleitung der NSDAP am Bismarckplatz gegen 22.30 Uhr an. Um zwei Uhr nachts wurde auch die Gestapo durch ihre Leitstelle in Düsseldorf alarmiert. Laut Anweisungen sollten Geschäfte und Wohnungen der jüdischen Bevölkerung „nur" zerstört, aber nicht geplündert werden.

Die Synagoge wird zerstört

In der Synagoge und in den Geschäftsräumen der Gemeinde sollte Archivmaterial beschlagnahmt werden. Dabei blieb es nicht. Eine Truppe junger Männer, die der in Fichtenhain stationierten SA-Standarte „Feldherrenhalle" angehörte, drang in die Synagoge ein. Sie zerstörten alles und legten Feuer. Polizei und Feuerwehr griffen bewusst nicht ein, angeblich um einen Konflikt mit auswärtigen SA-Männern zu vermeiden. Neben der Synagoge wurde auch das Gemeindehaus und 18 jüdische Geschäfte zerstört, 63 jüdische Bürger wurden verhaftet. In der darauffolgenden Nacht wurden weitere Wohnungen und Geschäfte angegriffen und auch geplündert. Auch die Synagogen in Linn, Uerdingen und Hüls wurden zerstört. Am 11. November berichtet die „Rheinische Landeszeitung" von den Ereignissen mit kaltblütigem Zynismus. Die Ausschreitungen werden als „spontane Demonstrationen gegen die Juden" deklariert. Außerdem heißt es: „Es ist noch sehr sanft in Krefeld zugegangen, weil keinem auch nur ein Haar gekrümmt wurde." Die Realität sah anders aus und es sollte noch viel schlimmer kommen. Der Schriftsteller Joseph Roth hatte das bereits 1933 prägnant formuliert: „Hier regiert die Hölle". Fast genau 70 Jahre nach der Zerstörung konnte am 14. September 2008 ein Neubau der Synagoge an der Wiedstraße eingeweiht werden.

Mit der Unterzeichnung einer Urkunde durch Kaiser Karl IV. am 1. Oktober 1373 in Prag wird aus dem Dorf die Stadt Krefeld. 650 Jahre ist das nun her. Anlässlich des Jubiläums blickt das Stadtarchiv in chronologischer Folge mit Geschichten und Anekdoten in die Vergangenheit. Der Blick in die Historie richtet sich nicht alleine auf den kleinen Flecken, den mittelalterlichen Siedlungskern, sondern auf das Gebiet des heutigen Krefelds. Alle Beiträge werden unter www.krefeld.de/1373 und www.krefeld650.de veröffentlicht.

 

Alle Beiträge aus der Artikelreihe des Krefelder Stadtarchivs zum 650-jährigen Stadtjubiläum:
Teil 33: Die Malerin Caroline Bardua besucht mit ihrer Schwester zum ersten Mal Krefeld
Caroline und Wilhelmine Bardua stammten aus dem Harz und wuchsen in der kleinen Residenzstadt Ballenstedt auf.
Kinder der Familie von der Leyen von Caroline Bardua. Repro: Stadtarchiv Krefeld
Teil 32: Der Vagedes-Plan
Einbindung des bisherigen Stadtkerns in das rechteckige Geviert der Wälle.
Vagedes-Plan. Repro. Stadtarchiv Krefeld
Teil 31: Das alte Stadttheater an der Rheinstraße
Viele Theaterbauten gehen auf die Initiative von Adeligen zurück. In Krefeld, das ja nie ein Fürstensitz war, ist auch die Begeisterung für die Bühne auf bürgerschaftliches Engagement zurückzuführen.
Altes Stadttheater an der Rheinstraße. Repro: Stadtarchiv
Teil 30: Entstehung des Stadtgartens
Mit seinem schönen Baumbestand und dem zentral gelegenen Musikpavillon lädt er zu Spaziergängen ein.
Krefelder Stadtgarten um 1902. Repro: Stadtarchiv

Die Krefelder Rheinstraße im Jahr 1916. Bild: Stadt Krefeld, Stadtarchiv
Die Krefelder Rheinstraße im Jahr 1916.
Bild: Stadt Krefeld, Stadtarchiv

 

Informationen zur Reihe: Das Stadtarchiv blickt anlässlich des Stadtjubiläums in die Krefelder Geschichte

Prag. Freitag, 1. Oktober 1373. Mit der Unterzeichnung einer Urkunde durch Kaiser Karl IV. wird aus dem Dorf die Stadt Krefeld. 650 Jahre ist das nun her. Anlässlich des Jubiläums blickt das Stadtarchiv in chronologischer Reihenfolge mit Geschichten und Anekdoten in die Vergangenheit. „Das machen wir mit wissenswerten Beiträgen, aber auch mit humorvollen Geschichten", sagt Archivleiter Dr. Olaf Richter. Der Blick in die Historie richtet sich zwei Mal pro Woche nicht alleine auf den kleinen Flecken, den mittelalterlichen Siedlungskern, sondern auf das Gebiet des heutigen Krefelds.