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US-Konsul fühlt sich im "Wilden Mann" nicht wohl

Veröffentlicht am: 09.08.2023

„Es ist eine anmutige, aber nicht große Stadt, die ungemein wohlhabend ist", beginnt die Schilderung über Krefeld in einem niederländischen Reisebericht. Die Gruppe reiste im Jahr 1784 entlang des Rheins. Der unbekannte Verfasser schrieb weiter, dass die Gesellschaft im „Wilden Mann" logiere, bei Herrn Hornemann, der auch mit Rheinwein handele. Man deckte sich damit großzügig vor der Abreise ein. „Zum wilden Mann", das war bis 1928 die älteste Gaststätte beziehungsweise das älteste Hotel in der Stadt. Mindestens seit 1515 ist das Gasthaus mit eigner Bäckerei gegen über dem Schwanenmarkt an der Hochstraße 89 belegt. Sein Ursprung geht auf die „Herberge" aus dem 15. Jahrhundert zurück. Deren Gebäude war noch klein und nur mit wenigen Räumen ausgestattet.

Der Wilde Mann an der Hochstraße in Krefeld.
Der Wilde Mann an der Hochstraße in Krefeld.

Dass das Hotel einmal eine 400-jährige Geschichte aufweisen sollte, ist angesichts der dramatischen Zerstörung im 16. Jahrhundert sehr erstaunlich. Denn die Stadt und auch der Wilde Mann wurden zweimal zerstört: 1511 durch burgundische Truppen und gänzlich 1584 im Kölner Krieg. Durch die Kampfhandlungen seien die Stadt und die umliegenden Höfe „im Grundt abgebrendt". Aus dem mittelalterlichen Krefeld haben wohl nur die Steinbauten wie der Turm der Alten Kirche das kriegerische Wüten und die Brände überstanden. Eine Sage erzählt davon, dass lediglich noch eine alte Frau ihre Ziegen auf den mit Gras bewachsenen Straßen hütete. Die Bevölkerung kehrte erst um 1590 in die Stadt zurück. Fast 20 Jahre später wohnten dort etwa 70 Familien, rund 350 Einwohner. Der „neue" Wilde Mann wurde größer und besser ausgestattet gebaut. Und die Honoratioren der Stadt zählten bald zu den Stammgästen. Beim Wiederaufbau musste man sich wohl an die alten Grundstücksgrenzen halten. Denn der Gasthof war vom Nachbargebäude, dem Haus „Zur Stadt Kempen", bis in die 1890er-Jahre durch eine Gasse getrennt, die ein Teil des uralten Weges war, der vor der Ummauerung der Stadt im Mittelalter von Kempen durch Krefeld nach Linn führte.

Eingebunden in die alte Bebauung blieb über knapp 400 Jahre so kaum Platz für Expansionen - daran änderte sich auch nichts mit dem prächtigen Gebäude des 19. Jahrhunderts mit einer markanten Kuppel. Gäste berichteten von verschachtelten Gängen, verwirrenden Stufenauf- und -abgängen und alles andere als gemütlichen Zimmern. Als Konsul für das Wirtschaftskonsulat der USA am Ostwall kam Bret Harte 1878 nach Krefeld. Seine Begeisterung für die Stadt und sein Hotel „Zum Wilden Mann" hielten sich, gelinde gesagt, in Grenzen: „Um in mein düsteres Zimmer zu kommen, muss ich zunächst ein geheimnisvolles Tor, dann einen Hof durchschreiten und schließlich einige labyrinthische Stufen hinaufsteigen." Zu seinem Erstaunen habe er erfahren, dass das Hotel schon einige hundert Jahre alt sei und während des Dreißigjährigen Krieges von Soldaten besetzt war. „Trotz des historischen Glanzes ist das Zimmer, in dem ich schreibe, das ungemütlichste Loch, in dem ich je gesessen habe."

US-Konsul Francis Bret Harte.
US-Konsul Francis Bret Harte.

Trotz dieses individuellen vernichtenden Urteils galt der Wilde Mann als das erste Haus am Platze. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde es zur Pflicht, die Namen von durchreisenden Fremden täglich im „Intelligenzblatt für Crefeld und die umliegende Gegend" zu veröffentlichen. Und so ist nachvollziehbar, dass kaiserliche und königliche Hoheiten zu den Gästen zählten, wie die Prinzessin von Oranien samt Gefolge. Bei Reisenden aus den Niederlanden blieb der „Wilde Mann" so beliebt, dass sie ihn Häusern in Köln oder Düsseldorf vorzogen. Zum Ende des Jahrhunderts trugen sich auch immer mehr bürgerliche Menschen in das Gästebuch ein, wie die Künstler einer Puppenspielbühne namens „Millowitsch" aus Köln.

Die Beliebtheit des Hotels, trotz wachsender Konkurrenz in der Stadt, lag auch viele Jahre an einem praktischen Umstand: Statt vor der Post hielt bis Mai 1843 exklusiv die Postkutsche vor dem Hotel, wo Reisende aus- oder einstiegen. Warum sich dieses Privileg in Krefeld eingebürgert hatte, ist fraglich. Vielleicht hing es mit einem gewissen selbstbewussten Verständnis bezüglich des Hauses zusammen. Da einer der Eigentümer, Gerhard Hornemann, den „Wilden Mann" stets als die Nummer Eins in Krefeld ansah, beschwerte er sich 1834 sogar auf verschiedenen staatlichen Ebenen bis zur Bezirksregierung in Düsseldorf, dass er nicht konsequent als die Nummer Eins beim „Intelligenzblatt für Crefeld und die umliegende Gegend" geführt wurde. Schließlich zahle er unter den hiesigen Gastwirten die höchsten Steuern, so seine Begründung. Das stimmte auch. Vielmehr musste er sich abwechselnd die Position mit einem weiteren Hotel teilen, dem „Goldenen Anker", ebenfalls an der Hochstraße etabliert. Die Bezirksregierung machte dem „Ranking-Streit" schließlich ein Ende und schrieb dem Wilden-Mann-Gastwirt, dass die beiden Häuser gleichwertig seien, was den Rang der Gäste und der allgemeinen Beurteilung angehe. Der letzte Besitzer des Gasthofes hieß Max Thomas, gesprochen Thoma, eine hiesige Bekanntheit. Er ging vor- und nachmittags mit seinem modischen Zylinder durch die Stadt. Was die Exklusivität des Hauses anging, machte er keine Kompromisse. Wenn ihm mal ein Gast nicht passte, schickte er ihn unverhohlen zu einer anderen Unterkunft.

Tischgesellschaft „Die Wilden Männer"

Geradezu zum Inventar gehörte in Häusern wie „Zum Wilden Mann" im 19. Jahrhundert die Tischgesellschaft: „Die Wilden Männer" waren allesamt Junggesellen, die regelmäßig im Hotel an der Hochstraße zusammenkamen, ein exklusiver Kreis aus Fabrikanten, Ärzten, Juristen und Gelehrten. Zu einer festen Stunde trafen sie sich zum Mittagessen mit einheitlicher Speisefolge. Jeder hatte seinen festen Stammplatz. „Im Abonnement" konnten sie zu ermäßigten Preisen essen - mit Weinzwang inklusive. Die Rechnungen wurden monatlich beglichen. Zu den „Wilden Männern" zählte unter anderem der Krefelder Wilhelm Deuß, der Stifter des Stadtwaldes, und der Brite Harry Greene, der von allen nur „Mister", von der Dienerschaft „Herr Mister Grün", genannt wurde. Er kam um 1860 als Sprachlehrer nach Krefeld und arbeitete letztlich in der Textilbranche. Der exklusive Kreis trat auch gemeinsam bei gesellschaftlichen Anlässen auf, es wurde Ausflügen organisiert, und die Mitglieder spendeten unter anderem für das Stadttheater an der Rheinstraße, dessen Gäste sie in einer eigenen Loge namens „Löwengrube" waren.

Um 1884 senkte sich der Stern des altehrwürdigen Hotels langsam, die notwendigen Investitionen konnten nicht mehr übersehen werden, die Konkurrenz nahm weiter zu. Und 1891 sollte das Haus dann schließen. Die „Wilden Männer" hatten sich da schon ein neues Domizil am Neumarkt auserkoren. Doch mit dem Umzug begann der Niedergang ihrer Gesellschaft. Für den Wilden Mann gab es indes eine Fristverlängerung, denn Mitte der 1890er-Jahre erfolgte eine Erweiterung. Dabei wurde auch die kleine Gasse eingezogen und überbaut. Zudem wurden die Räume Anfang des 20. Jahrhunderts modernisiert: Das Haus erhielt ein Café und einen Billardsaal, eine Zentralheizung und elektrisches Licht in allen Zimmern. So erlebten die Gäste noch, wie Anfang des 20. Jahrhunderts die „Elektrische" über die Hochstraße ratterte. Das Haus hieß ab 1925 „Hotel Continental" - „Zum Wilden Mann" galt nicht mehr als seriös. Mit dem Umbau zum Geschäftshaus für Textilien endete 1928 die Hotelgeschichte. Heute steht auf dem Areal ein Bekleidungsgeschäft.